Gurt und Seil braucht man nicht. Das Klettern in der Boulderhalle spielt sich nur knapp über dem Boden ab. Ob Kleinkind oder Kletterkünstler: Wer etwas Mut und kurze Fingernägel hat, kann in der Lingener Boulderhalle an seine Grenzen klettern und über sich hinauswachsen.
In der Lingener Boulderhalle über sich hinauswachsen

Fingerfood für Körper und Kopf

Timo kommt eigentlich aus Göttingen. Der Kletterfan ist derzeit beruflich im Emsland. Er nimmt eine Hand voll Magnesium aus seinem Beutel und studiert von unten seine geplante Route. Martin ist jeden Tag hier. Ihm gehört das Kletterareal. Zusammen mit seiner Frau Anja hat er sich hier ein Paradies geschaffen, in dem er jeden Tag seinem Hobby nachgehen kann.

Früher musste er für seinen Sport nach Oldenburg, Osnabrück oder Enschede fahren. „Die Boulderhalle hier habe ich aus rein egoistischen Gründen eröffnet”, sagt er augenzwinkernd. Aber allein ist er hier nicht. Die Halle ist meist gut besucht, bietet aber reichlich Platz, um sich an den bunten Griffen und Tritten gründlich auszutoben.

Bouldern kann eigentlich jeder, der halbwegs eine Leiter hinaufsteigen kann. Und genauso ist die Boulderhalle Fingerfood auch konzipiert. Auf den gut 1000 Quadratmetern Kletterfläche gibt es spezielle Steige für Kinder und einfache Routen für Anfänger. Wer sich erstmal hinaufgeklettert hat und über gute Griffkraft, Körperspannung und Technik verfügt, versucht sich an den schwersten Strecken, die bis zum olympischen Schwierigkeitsgrad reichen. Auch der Kopf spielt eine zentrale Rolle. „Das Gehirn ist der wichtigste Muskel beim Klettern“, sagte schon Kletterlegende Wolfgang Güllich.

Diane hat heute für die Kinder einen Babysitter und betritt zum ersten Mal eine Boulderhalle. Nach den ersten Gehversuchen kraxelt sie schon sicher die mehr als vier Meter hohen Wände hinauf. Auf den gelben und violetten Routen kein Problem für die dreifache Mutter. Einen Schwierigkeitsgrad weiter wird es aber schon haariger. Martin beobachtet ihren gescheiterten Versuch an einem leichten Überhang, legt seinen Akkuschrauber beiseite und zeigt ihr die nötigen Kniffe: „Die Hüfte näher zur Wand, den linken Fuß auf den weißen Boulder weiter nach oben und dann aus den Beinen hochdrücken." Wie eine Spinne hängt der Firmenchef an der Wand. Diane schaut beeindruckt zu. Die Theorie hat sie verstanden. Mit der Praxis hadert sie noch. „Nur weiter”, ruft ihr Martin Holt noch zu, dann greift er sich wieder seinen Akkuschrauber und versetzt ein paar Boulder, wie die farbigen Griffe und Tritte heißen. Die rund 200 Routen werden nämlich regelmäßig verändert, sodass die Halle immer wieder neue Herausforderungen bietet.

Passieren kann beim Bouldern eigentlich nichts. Wer fällt, fällt weich auf den gefederten Boden. „Aber man kommt trotzdem an seine Grenzen - physisch und mental”, weiß Holt. Gefragt sind eine Kombination aus Ruhe, Kraft, Strategie und Schnelligkeit. Auch in zwei Metern Höhe packt da schon manchen die Angst. Aber das ist eine Frage der Gewohnheit.

Martin und Anja bieten auch Kletterkurse für Anfänger an. Ihre Boulderhalle soll eine Begegnungsstätte sein. Hier kann man Fachgespräche führen oder auch nur den Kletterern zuschauen. Es gibt einen kleinen Fitnessbereich, eine Sauna im Obergeschoss und ein großes Bistro. Wen die Kletterei gepackt hat, verbringt hier gern ein paar Stunden.

Diane reicht es für heute. Stolz, aber geschafft gibt sie die Kletterschuhe erstmal wieder ab. Holt kennt das Gefühl. Wer sich erstmal etwas zutraut und kräftig zupackt, steht später stolz am Ziel und geht mit gestärktem Selbstvertrauen aus der Halle heraus - auch wenn vielleicht ein Stückchen Fingernagel fehlt und die Muskeln zittern.